Medienwissenschaften gibt es unterdessen bemerkenswert viele: die Literaturwissenschaften als eine Allgemeine und Vergleichende wie in allen möglichen nationalphilologischen Spezialisierungen, die Kunstwissenschaft, die Klassische Archäologie, seit Jahrzehnten inzwischen die Filmwissenschaft und natürlich auch eine Medienwissenschaft eben dieses Namens. Von einer Fotowissenschaft jedoch hat bislang noch niemand gesprochen. In meinem Vortrag wird es mir nicht darum gehen, diese noch, sozusagen nachträglich und mit Verspätung, endlich auszurufen. Ich will stattdessen danach fragen, warum die Fotografie (dies ist bereits für sich genommen ein bemerkenswert weitreichender Singular) im Zusammenhang der Geistes- und Sozialwissenschaften so auffällig ‚anders‘ institutionalisiert wurde und als ein verstreutes Subjekt bezeichnet werden kann, und ich möchte hieran anschließend diskutieren, welche Konsequenzen diese spezifische Alterität nach sich zieht für all jene, die sich mit Theorie und Geschichte der Fotografie wissenschaftlich beschäftigen wollen. Das wird nicht zuletzt auch heißen, zu wenig beachtete fotowissenschaftliche Vorbilder in den Blick zu nehmen — in meinem Vortrag soll dies wenigstens exemplarisch geschehen.
Prof. Dr. Steffen Siegel lehrt als Professor für Theorie und Geschichte an der Folkwang Universität der Künste in Essen und leitet dort den wissenschaftlichen Master-Studiengang „Photography Studies and Research“, der den Fragen zu Theorie und Geschichte der Fotografie gewidmet ist. Neben der Dissertation „Tabula. Figuren der Ordnung um 1600“ (Berlin 2009), mit der Steffen Siegel 2008 an der Humboldt-Universität zu Berlin promoviert worden ist, zählen zu jüngeren monographischem Veröffentlichungen „Belichtungen. Zur fotografischen Gegenwart“ (München 2014) und „Ich ist zwei andere. Jeff Walls Diptychon aus Bildern und Texten“ (München 2014) sowie die von ihm herausgegebene Quellenedition „Neues Licht. Daguerre, Talbot und die Veröffentlichung der Fotografie im Jahr 1839“ (München 2014). Eine englische Übersetzung dieses Buches erschien 2017 unter dem Titel „First Exposures. Writings from the Beginning of Photography“.